Man erreicht Granadilla, indem man von Plasencia in nördlicher Richtung fährt und dann links auf die Bundesstraße EX 204 abbiegt. Die Einwohner waren die Verlierer eines ehrgeizigen Projekts von Francisco Franco. Der spanische Diktator hatte in den 1960er Jahren den Plan entwickeln lassen, einige Stauseen des Landes zu erweitern, um die Leistung der angeschlossenen Wasserkraftwerke zu erhöhen. Dafür sollten Dörfer, die an den Rändern der Seen lagen, vom Wasser überflutet werden. Die Bewohner mussten sich Not gedrungen einen anderen Wohnort suchen. So geschah es auch in Granadilla. Das Dorf war innerhalb weniger Wochen komplett verwaist. Doch was dann geschah, hatte niemand erwartet. Die Regierung in Madrid änderte ihre Pläne und Granadilla blieb verschont. Nur kamen die Bewohner nicht zurück, sondern blieben an ihren neuen Wohnorten. Nicht einmal der Bürgermeister erschien wieder zum Dienst. So vergingen Jahrzehnte, die in dem Dorf ihre Spuren hinterlassen haben. Die Holzdächer auf den Häusern sind verschwunden. In den Gassen wächst Gras. Aus den Ruinen der Steinhäuschen wachsen Bäume. In den ehemaligen Schlaf- und Wohnzimmern blühen jetzt wilde Blumen.
Anfang der 1980er Jahre kehrten Menschen ins Dorf
zurück. Künstler entdeckten den Ruinenort
für sich und nutzten den vielen freien Wohnraum
für ihre Zwecke. In einigen Häusern richteten
sie ihre Ateliers ein, andere renovierten sie zu Wohnstätten.
Die Künstlerkolonie wurde 1995 abgelöst
von einem Jugendprojekt, das bis heute Bestand hat.
Eine Gruppe von Pädagogen empfängt hier
jede Woche aufs Neue Schulklassen aus dem ganzen Land
und aus anderen europäischen Ländern. Auch
deutsche Schüler unternahmen schon Klassenreisen
nach Granadilla. Die Schüler versorgen sich unter
der Anleitung der Lehrer selbst und lernen, für
sich und die Klassenkameraden den Alltag zu organisieren.
Im Dorf verrichten sie einfache handwerkliche Tätigkeiten,
reparieren Schuppen und bessern brüchige Hauswände
aus. Strom gewinnen die neuen Dorfbewohner über
ein Aggregat, das von Sonnenkollektoren gespeist wird.
Fließendes Wasser müssen die Schüler
aus dem Stausee pumpen. Jeden Morgen schallt eine
halbe Stunde lang „Radio Granadilla“ durch
die alten Gassen des Dorfes. Der dorfeigene Sender
versorgt die Schüler mit allen nötigen Informationen
und den neuesten Liedern von Beyonce und Metallica.
Abends, wenn das Tagwerk vollbracht ist, sitzen Schüler
und Lehrer gemeinsam auf der ehemaligen Plaza Mayor
und schauen der Sonne beim Untergehen zu. Neben der
Sonnenuhr am ehemaligen Rathaus steht der lateinische
Spruch „Sub eodem sole omnes“, as bedeutet:
Es scheint dieselbe Sonne über allen. Und man
möchte hinzufügen: Über allen, die
gegangen und allen, die gekommen sind.
Am Eingang des Dorfes steht noch immer ein alter Wehrturm, den Besucher besteigen
können. Von hier aus hat man eine atemberaubende
Aussicht auf den Stausee Gabriel y Galan und auf die
Häuser und Gassen des Dorfes. Auf dem Turm kann
man sich eine Idee davon machen, wie alles noch vor
40 Jahren ausgesehen haben muss, als Granadilla noch
ein ganz normales Dörfchen in der extremenischen
Provinz war. |